Gedankenspiele, Anregungen und Ideen:
Diese Einträge widerspiegeln meine persönliche Meinung und Erfahrungen.

Krebs, Geburtsschmerzen und ein Schmetterling

Gepostet von Esther Matter am Freitag, Juli 6, 2012 Unter: Wohlbefinden

Mein Vater erkrankte an Krebs. Kürzlich ist er daran gestorben. Ich begleitete ihn während seiner ganzen Krankheit bis zu seinem letzten Atemzug sehr nahe und intensiv. Ich verbrachte viel Zeit mit ihm. Manchmal sassen wir ganz still beieinander. Wir nahmen Abschied. Weinten. Lachten. Auch durfte ich ihn mit meiner Energiearbeit unterstützen. Wir führten während dieser Zeit die verschiedensten Gespräche, sei es über sein Leben, Sinn oder Unsinn (s)einer Krankheit, Heilungsprozesse, das Sterben und auch das Leiden.

Letzteres bereitet mir bis heute viel Kopfzerbrechen. Warum gehört das Leid zum Leben dazu? Warum müssen manche Menschen, äusserlich betrachtet, stärker leiden als andere? Warum sind gewisse Entwicklungsschritte nur durch intensive und oft schmerzliche Erfahrungen möglich?

Vielleicht liegt der Schlüssel darin, dass Leid und Schmerz subjektive Erfahrungen sind. Es ist nicht möglich, verschiedene qualvolle Erlebnisse verschiedener Menschen zu vergleichen. Weder auf körperlicher, emotionaler oder seelischer Ebene. Das Schmerzempfinden ist individuell. Es gibt keine Ranglisten. Was für mich schlimm und qualvoll ist, muss für einen anderen Menschen nicht das gleich grosse Leid bedeuten und umgekehrt. Jeder von uns hat einen eigenen Weg des Wachstums und jeder hat seine eigenen Herausforderungen.

Meine wohl intensivsten, körperlichen Schmerzerlebnisse waren die Geburten meiner beiden Söhne. Beide Male ohne Einnahme von Schmerzmitteln. Die Schmerzspitzen waren gewaltig, sie zu er- und durchleben unglaublich intensiv. Doch trotzdem: Ich konnte damit umgehen. Ich konnte die Schmerzen ertragen und aushalten. Wohl auch, da ich in den ganzen Geburtsprozess hineingewachsen bin und sich der Schmerz nach und nach steigerte - unterstützt von diversen Hormonausschüttungen. Eine ahnungslose Drittperson hätte bestimmt einen ganz anderen Eindruck erhalten können - und den Zustand für unerträglich gehalten.

Kürzlich las ich in einem Buch von einem Schmetterling, der nie fliegen konnte: Ein Kokon wurde gefunden und in eine Schulklasse gebracht, damit die Kinder an der wundersamen Geburt eines Schmetterlings teilhaben konnten. Als der Kokon schliesslich - durch die Aktivität in dessen Inneren - zu zittern begann und schliesslich stark schüttelte, fürchteten die Betrachter, der Schmetterling hätte ein Problem und würde das nicht überleben. Jemand machte einen kleinen Schnitt in die Seite des Kokons. Sofort wurde ein Flügel sichtbar, gleich darauf der andere. Der Schmetterling schien seine Freiheit zu geniessen. Doch er flog nicht. Im Nachhinein erfuhren die Helfer, dass in der Natur ein Schmetterling eben erst aus dem Kokon schlüpft, wenn seine Flügel stark genug zum Überleben sind. Diese Gegebenheit stimmt mich nachdenklich.


In: Wohlbefinden 



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